Formel 1 – So wird ein Formel 1 Bolide gesteuert Alles über das Formel 1 Lenkrad
Formel 1-Autos sind unglaubliche Boliden: Sie sind schnell, sie sind wunderschön, sie sind das Ergebnis tausender Stunden harter Arbeit – und sie sind sehr komplex. Trotzdem stehen den Fahrern nur drei Wege zur Verfügung, um das Verhalten ihres Fahrzeugs zu beeinflussen – das Gaspedal, das Bremspedal und das Lenkrad.
In gewisser Weise ist der Begriff „Lenkrad“ mittlerweile sogar ein wenig irreführend, da das „Lenken“ nur eine von vielen Funktionieren ist, die es heutzutage beherrschen muss – und zudem besitzt es noch nicht einmal mehr die Form eines Rades. In dieser Woche nehmen wir die komplexe Kommandozentrale namens Lenkrad einmal genauer unter die Lupe.
Was sind die Hauptfunktionen eines Formel 1-Lenkrads?
Neben seiner eigentlichen Funktion zum Lenken des Fahrzeugs übernimmt ein Formel 1-Lenkrad noch viele weitere Aufgaben. Eine der wichtigsten ist die Gangschaltung, da die Schaltwippen und die Kupplung an der Rückseite des Lenkrads angebracht sind. Es ist auch eine zentrale Anlaufstelle für Informationen und die Kommunikation. Der Fahrer kann über das zentrale Display auf entscheidende Informationen zugreifen, etwa auf die Motordrehzahl, die Delta-Zeiten zu anderen Autos oder Sensorinformationen, zum Beispiel die Reifentemperaturen. Er kann mit einem Knopfdruck auch bestätigen, dass er an die Box kommt oder seinen Funk aktivieren. Insgesamt informieren den Fahrer 25 LED-Lampen an seinem Lenkrad über verschiedene Situationen – von seinen Schaltpunkten bis zur Anzeige der Flaggensignale der Streckenposten. Außerdem wird das Lenkrad dazu verwendet, um bestimmte Fahrzeugeinstellungen vorzunehmen, zum Beispiel um die Bremsbalance zu verändern oder das Differential anzupassen (das Verhältnis des Drehmoments zwischen den Hinterrädern). Auch Power Unit-Einstellungen wie die entscheidenden Strategie-Modi, die über die Leistungsabgabe bestimmen, werden am Lenkrad ausgewählt. Eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Knöpfe finden Sie in der beigefügten Infografik oder auf unserer Medienseite: media.mercedesamgf1.com.
Wie stellt das Team sicher, dass der Fahrer die Knöpfe nicht versehentlich betätigt?
Ein Formel 1-Auto wird bei hohen Geschwindigkeiten und starken Vibrationen gefahren – das sind nicht gerade die perfekten Bedingungen, um kleine Knöpfe am Lenkrad zu betätigen. Das Ganze wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die Fahrer das Lenkrad mit ihren Handschuhen bedienen müssen. Um zu verhindern, dass ein Knopf versehentlich gedrückt wird, hat das Team kleine Plastikränder um bestimmte Knöpfe herum angebracht. Diese Abgrenzungen können sich von Rennen zu Rennen verändern. Sie sind besonders wichtig in engen Kurven wie der Haarnadel in Monaco, wenn die Fahrer den vollen Lenkeinschlag nutzen müssen. Zusätzlich zu diesem Schutz rund um die Knöpfe verwenden die Teams langlebige Knöpfe, die auch in Flugzeugen Verwendung finden und mit relativ viel Kraft betätigt werden müssen. Auf diese Weise merkt der Fahrer selbst mit seinen Handschuhen einen spürbaren Klick, wenn er den Knopf drückt.
Wie oft betätigt der Fahrer das Lenkrad auf einer Runde?
Die Anzahl und die Art des Lenkradeinsatzes hängt vom Streckenlayout und der Situation ab. Auf einer „normalen“ Rennrunde in Silverstone schaltet der Fahrer ungefähr 40 Mal (am häufigsten fünf Mal hintereinander herunterschalten in ungefähr 1,2 Sekunden vor Kurve drei), verstellt zweimal die Bremsbalance, verändert zweimal die angezeigte Display-Seite und passt dreimal das Differential an – natürlich alles zusätzlich zu seinen Lenkbewegungen.
Wie viele potenzielle Einstellungskombinationen gibt es?
Es gibt 16 Knöpfe, sechs Drehknöpfe und drei Drehschalter am Lenkrad – hinzukommen die Schaltwippen und die Kupplung. Es gibt also hunderte Millionen an potenziellen Kombinationen. Aber keine Panik, unsere Fahrer müssen sie nicht alle ausprobieren…
Wie sieht der Entwicklungsprozess eines Formel 1-Lenkrads aus und wie sehr sind die Fahrer darin involviert?
Als die Hauptstruktur des aktuellen Lenkrads festgelegt wurde, waren die Fahrer stark in den Designprozess involviert – sowohl mit Blick auf die Ergonomie des Lenkrads als auch das physische Layout (von der Gesamtform des Lenkrads bis zu jener der Griffe). Die Karbonstruktur ist eine Langzeitkomponente, die normalerweise über ein oder zwei Jahre hinweg verwendet wird. Wenn eine neue Struktur eingeführt wird, stellt das Team eine Reihe an Prototypen her und bringt sie an die Strecke mit, damit die Fahrer sie im Freitagstraining ausprobieren können. Im Verlauf der Saison verändert das Team den Griff, die Knöpfe, die Anordnung der Schalter und der Abgrenzungen rund um die Knöpfe. All das basiert auf den individuellen Wünschen der Fahrer und dem Streckenlayout.
Wie wichtig ist die Ergonomie im Designprozess?
Sehr wichtig – sowohl mit Blick darauf, wie sich das Lenkrad anfühlt, als auch wie komfortabel es ist. Der Platz an einem Formel 1-Lenkrad ist extrem eng bemessen, auch, weil im Cockpit nicht viel Platz vorhanden ist. Je größer das Lenkrad ist, desto mehr Raum benötigt es im Bereich der Knie oder auf Höhe der Fingerknöchel an der Innenseite des Cockpits.
Wie lange dauert es, um ein neues Lenkrad zu bauen?
Der eigentliche Montageprozess dauert ungefähr zwei Wochen (z.B. 80 Arbeitsstunden). Die meisten Teile werden hausintern gefertigt, dabei stellen das zentrale Display und die darunterliegende Schaltplatine die einzige Ausnahme dar. Sie sind Einheitsteile, die alle Teams verwenden. Alle anderen Komponenten wie der Schaltkreis, die Platinen, die Lenkung, das Karbongehäuse, der Schnellverschluss und die elektrischen Verbindungen werden in der Fabrik des Teams in Brackley speziell für diesen Zweck gefertigt. Im Lenkrad finden hauptsächlich Karbon, Fiberglas, Titan, Silikon und Kupfer Verwendung. Im Verlauf der Saison erhält jeder Fahrer drei oder vier Lenkräder. Am Design- und Montageprozess sind mechanische und elektrische Designer sowie Techniker zur Verkabelung beteiligt.
Was ist die größte Herausforderung beim Design und der Montage eines F1-Lenkrads?
Das Lenkrad ist eine sicherheitskritische Komponente (interne Bezeichnung: Klasse A-Komponente). Als solche muss es gründliche Tests bestehen – ähnlich wie etwa die Aufhängungselemente oder Teile der Überlebenszelle. Gleichzeitig ist das Lenkrad aber auch ein stark angepasstes Element, das sich von Rennen zu Rennen verändern kann, um an die Wünsche der Fahrer angepasst zu werden. Die Kombination dieser beiden Anforderungen (höchste Sorgfalt und ständige Änderungen) machen das Design und die Herstellung des Lenkrads zu einer sehr großen Herausforderung.
Wie werden die Lenkräder gewartet?
Die Lenkräder werden alle zwei oder drei Rennen zur Wartung geschickt. Wie jede andere Komponente des Autos besitzen auch sie eine bestimmte maximale Laufleistung. Die Lenkräder sind im Auto ständig Vibrationen ausgesetzt und da sie als sicherheitsrelevante Komponenten gelten, müssen sie zerstörungsfreie Prüfungen (NDT = „ non-destructive testing“) überstehen, um sicherzustellen, dass sie keine Risse haben. Um die Lenkräder auf Sprünge zu überprüfen, werden sie in Farbeindringmittel mit niedriger Viskosität getaucht und eingeweicht. Die Farbe dringt in jegliche Risse ein und sobald sie abgetrocknet ist, sind diese bei ultraviolettem Licht deutlich zu erkennen. Die Lenkräder werden außerdem elektrischen Tests, Ultraschallprüfungen und Checks zur Wasserdichtigkeit unterzogen. Die Griffe und Knöpfe werden ebenfalls regelmäßig überprüft, da jeder Knopf nur eine bestimmte Anzahl an Betätigungen aushält.